Terrorismus in der Bundesrepublik Deutschland

Terrorismus in der Bundesrepublik Deutschland
Terrorismus in der Bundesrepublik Deutschland
 
Aus einem kleinen Teil der studentischen Protestbewegung hatte sich nach 1968 eine terroristische Gruppierung unter dem Namen »Rote Armee Fraktion« (RAF) gebildet, die nach den Namen zweier ihrer Anführer auch Baader-Meinhof-Gruppe genannt wurde. Mit Brandanschlägen auf Kaufhäuser hatte es 1968 begonnen, später folgte eine Serie von Bombenanschlägen, vorwiegend gegen Einrichtungen der Polizei oder der amerikanischen Armee. Die terroristischen Aktivitäten der RAF standen anfangs noch unter einer sozialrevolutionären Zielsetzung, während sie später vor allem der Freipressung inhaftierter Terroristen dienten und schließlich in Gewaltausübung um der Gewalt willen übergingen. Die Terroristen arbeiteten aus dem Untergrund, sie hatten anfänglich mithilfe von Sympathisanten ein Netz von Stützpunkten aufgebaut. Durch Banküberfälle verschafften sie sich Geldmittel, durch Einbrüche in Behörden erbeuteten sie Blankoausweise und Stempel für die Anfertigung von falschen Pässen. 1972 gelang der Polizei die Festnahme der führenden RAF-Mitglieder. Doch diese führten in der Haft ihren Kampf gegen die westdeutsche Gesellschaft fort. Sie riefen zu neuen terroristischen Aktionen auf und setzten das Mittel des Hungerstreiks ein. Der Häftling Holger Meins starb an den Folgen des Hungerstreiks trotz Zwangsernährung. Einen Tag später, am 10. November 1974, ermordeten RAF-Mitglieder den Berliner Kammergerichtspräsidenten Günther von Drenkmann. Mit der Entführung des Berliner CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz am 27. Februar 1975 erpresste ein Terrorkommando der »Bewegung 2. Juni«, dass fünf inhaftierte Gesinnungsgenossen nach Südjemen ausgeflogen wurden. Der von Bundeskanzler Schmidt geleitete Krisenstab hatte beschlossen, zur Rettung eines Menschenlebens rechtsstaatliche Grundsätze auszusetzen und den Terroristen nachzugeben. Eine weitere Demütigung des Staates wollte die Bundesregierung nicht hinnehmen, sie war aber auch bemüht, nicht durch Überreaktion das demokratische Staatswesen in einen Polizeistaat zu verwandeln.
 
Eine neue Welle von terroristischen Brand- und Sprengstoffanschlägen erreichte in den Morden des Jahres 1977 einen Gipfelpunkt an Brutalität. Dem Mordanschlag auf den Generalbundesanwalt Siegfried Buback auf offener Straße in Karlsruhe am 7. April 1977 fielen auch zwei seiner Begleiter zum Opfer. Dem Mord an dem Vorstandssprecher der Dresdner Bank, Jürgen Ponto, am 30. Juli 1977 folgte die Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer am 5. September 1977, dessen vier Begleiter bei dem Überfall in Köln erschossen wurden. Auch jetzt wieder wollten die Entführer die Freilassung von elf Häftlingen erpressen. Der große Krisenstab, dem unter Leitung des Bundeskanzlers auch Oppositionsvertreter angehörten, suchte Schleyers Leben zu retten, ohne der Forderung der Terroristen nachgeben zu müssen. Die seit langem bekannten internationalen Verflechtungen des Terrorismus wurden erneut deutlich, als am 13. Oktober 1977 palästinensische Luftpiraten eine Lufthansamaschine mit 91 Insassen entführten und die Freilassung der elf deutschen und zweier türkischer Häftlinge forderten. Am 18. Oktober stürmte das Sonderkommando GSG 9 des Bundesgrenzschutzes das Flugzeug auf dem Flughafen von Mogadischu (Somalia) und befreite die Geiseln. Wenige Stunden später wurden die in Stuttgart-Stammheim inhaftierten RAF-Anführer Baader, Ensslin und Raspe in ihren Zellen tot aufgefunden. Das Untersuchungsergebnis lautete: Selbstmord durch Pistolenschüsse. Nicht geklärt werden konnte, wie die Waffen in die Zellen gelangt waren. Einen Tag später fand man die Leiche des ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Schleyer im Elsass.
 
Auch nach zahlreichen Festnahmen und Verurteilungen war die terroristische Bedrohung nicht gebannt, wie etwa die Mordanschläge der RAF auf den Siemens-Manager Karl-Heinz Beckurts und seinen Fahrer sowie auf Gerold von Braunmühl, einen der höchsten Beamten des Auswärtigen Amtes, 1986 deutlich machten. Der am 30. November 1989 auf Alfred Herrhausen, den Vorstandssprecher der Deutschen Bank und wohl einflussreichsten deutschen Wirtschaftsmanager, verübte Mordanschlag zeigte nach Aussage der Bundesanwaltschaft, dass die RAF nach wie vor über eine funktionierende Organisation und Logistik verfügte.
 
Nach der Wende in der DDR wurde der lang gehegte Verdacht bestätigt, dass einige RAF-Terroristen dort Zuflucht gefunden hatten. Nach Hinweisen von Bürgern und Stasi-Mitarbeitern konnten 1990 u. a. die RAF-Aussteiger Susanne Albrecht in Ost-Berlin, Inge Viett in Magdeburg, Monika Helbing und Eckehard Freiherr von Seckendorff-Gudent in Frankfurt (Oder) verhaftet werden. Sie hatten in der DDR ein unauffälliges Leben geführt. Das Ministerium für Staatssicherheit war ihnen bei der Einbürgerung, Eingliederung, Wohnungs- und Arbeitssuche behilflich gewesen.

Universal-Lexikon. 2012.

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